Die Fotografin Aenne Biermann

In den 1920er-Jahren fertigte Aenne Biermann erste Fotografien an. In der Biermann Villa, welche sich in der heutigen Leibnitzer Straße in Untermhaus befand, richtete sie sich eigens eine Dunkelkammer ein. Die frühen Fotografien ihrer Kinder Helga und Gerd besitzen vor allem familiären Erinnerungswert. Schnell entstanden in der Folge erste experimentelle Aufnahmen von Pflanzen, Mineralien und Steinen. Biermann erprobte zunehmend die Gestaltungsmöglichkeiten der Fotografie. Als Autodidaktin eignete sie sich die Feinheiten im Umgang mit dem Medium und das notwendige technische Wissen selbst an. Der Kunstkritiker Franz Roh, der Geologe Rudolf Hundt und der Architekt Thilo Schoder zählten zu ihren Förderern. Ihre Aufnahmen wurden in wichtigen internationalen Ausstellungen der Zeit präsentiert.

Aenne Biermanns Fotografien kennzeichnen ungewöhnliche Perspektiven, fein beobachtete Schattenspiele, extreme Beleuchtungskontraste sowie eine ungewohnte Nähe zum Dargestellten. Sie suchte nach interessanten Formen und Strukturen, oft verbunden mit dynamischen Linien. Dafür fotografierte sie nicht nur vorgefundene Szenerien sondern arrangierte und inszenierte die Motive auch entsprechend ihrer Vorstellung. Im Jahr 1932 waren ca. 3000 Negative von Aenne Biermann archiviert. Circa 400 Fotografien sind heute noch erhalten.

Das fotografische Werk der Aenne Biermann wird dem Neuen Sehen der 1920er- und 1930er-Jahre zugeordnet. Fotografinnen und Fotografen dieser Stilrichtung richteten den Blick auf die Vielfalt alltäglicher und scheinbar nebensächlicher Dinge. Indem sie vergängliche Momente und den Detailreichtum verschiedener Oberflächen, Materialien und Formen einfingen, wurden diese bildwürdig. Ausgangspunkt der Arbeiten war vielfach das Bestreben, sich die Wirklichkeit in objektiver und dokumentarischer Weise anzueignen.

Aenne Biermann | Biografie

1898 Geboren am 03. März als Anna Sibilla Sternefeld in Goch am Niederrhein.

1920 Heirat mit dem Geraer Kaufmann Herbert Biermann am 19. Januar. Es folgt der Umzug nach Gera.

Geburt der Tochter Helga am 1. November.

1923 Geburt des Sohnes Gerd am 14. Juni.

1926 Es entstehen erste Pflanzenaufnahmen.

1927 Fertigung von Gesteinsaufnahmen für den Geraer Geologen Rudolf Hundt. Sie erscheinen als Illustrationen der geologischen Studien von Hundt in der Zeitschrift „Der Naturforscher“.

1928 Erste Einzelausstellung im Graphischen Kabinett Günther Franke in der Briennerstraße 10 in München. Gezeigt wurden großformatige Pflanzenaufnahmen.

1929 Teilnahme an Wettbewerben und Preisausschreiben.

1930 Veröffentlichung eines Aufsatzes in der Zeitschrift „Thüringen. Eine Monatsschrift für alte und neue Kultur“ (Februar). Es ist der einzige heute bekannte Aufsatz von Aenne Biermann.

Sommer / Herbst Reisen nach Hiddensee und Paris.

1931 Kuraufenthalt in Meran.

1933 Aenne Biermann stirbt am 14. Januar in Gera nach längerer Krankheit.

1935-1940 Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten war die jüdische Familie Biermann wachsenden Repressionen ausgesetzt. 1938 wurde das Kaufhaus Biermann arisiert. Helga Biermann emigrierte 1935/36 nach Palästina. Gerd und Herbert Biermann folgten 1939 und 1940. Aenne Biermanns fotografisches Archiv wurde Ende 1939 nach Palästina verschickt und in Triest konfisziert. Seither gilt es als verschollen.

In den Jahren von 1929 bis 1933 war Aenne Biermann mit ihren Fotografien an mehreren auch internationalen Ausstellungen beteiligt:

  • „Fotografie der Gegenwart“ am Museum Folkwang in Essen

(20.01.-07.02.1929; weitere Stationen bis 1930)

  • „Film und Foto" des Deutschen Werkbunds in Stuttgart

(18.05.-07.07.1929; weitere Stationen bis 1931)

  • „Internationale Photographische Ausstellung IPHA“ in der Residenz in Salzburg

(15.07.-15.09.1929)

  • Einzelausstellung an der Modernen Galerie des Landesmuseums für Kunst- und Kulturgeschichte in Oldenburg vermittelt durch Thilo Schoder

(16.06.-Juli 1929; danach Übernahme durch das Focke-Museum in Bremen)

  • Einzelausstellung am Kunstverein Jena

(01.-29.06.1930)

  • „Das Lichtbild“ des Münchner Bundes im Ausstellungspark auf der Theresienhöhe in München

(05.06.-07.09.1930)

  • Einzelausstellung am Kunstverein Gera

(09.11.-07.12.1930)

  • „Die Neue Fotografie“, Ausstellung des Deutschen Werkbundes und des Münchener Bundes am Gewerbemuseum Basel

(11.01.-08.02.1931)

  • „Gestaltende Arbeit der Frau“ des Deutschen Staatsbürgerinnenverbands, Ortsgruppe Erfurt am Verein für Kunst und Kunstgewerbe Erfurt

(17.04.-22.05.1932, mit Folgestation in Jena)

  • „Salon de Photographie“ der Association Belge de Photographie und der Amateurs Photographes Belges am Théatre du Parc, Cercle Artistique et Littéraire Brüssel

(04.-16.05.1932)

  • „Exposition Internationale de la Photographie“ am Palais des Beaux-Arts Brüssel

(02.-31.07.1932)

  • „The Modern Spirit in Photography“ an der Royal Photographic Society of Great Britain in London

(04.-31.01.1933)

 

Aenne Biermann, Helga und Gerd, ca. 1930, 16,80 x 12,4 cm, Museum für Angewandte Kunst Gera
Aenne Biermann, Birnbaumsprossen, ca. 1929, 23,5 x 17,1 cm, Museum für Angewandte Kunst Gera
Aenne Biermann, o. T. (Selbstbildnis), ca. 1931, 23,6 x 17,9 cm, Museum für Angewandte Kunst Gera
Aenne Biermann, Werbefoto Wärmflaschen, ca. 1929, 42,3 x 58,6 cm, Museum für Angewandte Kunst Gera
Aenne Biermann, Werbefoto Wärmflaschen, ca. 1929, 42,3 x 58,6 cm, Museum für Angewandte Kunst Gera